Sehr geehrter Herr OB Dr. Kurz , Frau Helen Heberer,
sehr geehrte Frau Dr. Fritsche, sehr geehrte Damen und Herren!
Eigentlich sollte Distanz zum Objekt Grundlage einer objektivierten Bewertung sein. Allerdings kann auch Betroffenheit zu einer intensiveren Befassung mit einem wissenschaftlichen Werk und damit einer fundierten Bewertung führen. Bezogen auf „Arisierung und Wiedergutmachung in Mannheim“, mit der Buchveröffentlichung und damit dem wissenschaftlichen Projekt von Frau Dr. Christiane Fritsche bin ich doppelt betroffen, habe es also quasi doppelt intensiv studiert. Einmal war die Heinrich-Vetter-Stiftung mit Stadt und Universität Mittelgeber, zum anderen waren die Familie Vetter und auch Heinrich Vetter Profiteure der sogenannten Arisierungen, die Teil der systematischen Judenverfolgung des Dritten Reiches waren.
Was ist nun das „Auszuzeichnende“ an der Arbeit von Frau Fritsche.
Da sind einmal Konzept und Stil der Publikation, aufbauend auf wissenschaftlich exakten Recherchen. Die Mischung der Darstellung zwischen einer großen Zahl von Fakten und einer Schilderung von Profiteuren, Tätern und Opfern in ihrem Vorgehen bzw. Schicksal macht die Ereignisse erst wirklich erfahrbar. Der klare, lesbare und einprägsame Stil lassen das Volumen von fast tausend Seiten vergessen.
Man kann das Werk ohne Informationsverluste selektiv lesen. So habe ich natürlich mit der Schilderung der Causa Vetter begonnen und danach die Reichspogromnacht angeschlossen, mit anschließender Lektüre der Einzelschicksale bis zu allen einleitenden Teilen.
Hervorzuheben ist auch, dass es trotz einer großen Materialfülle Frau Fritsche gelungen ist, ihre Recherchen in angemessener Zeit abzuschließen und die Buchveröffentlichung vorzulegen. Manch anderer hätte sich noch lange Zeit im Archiv „vergraben“. So bestand eine große Leistung auch in einem „Weglassen“ von Informationen, angesichts der erschreckend hohen Zahl von fast Dreitausend Arisierungsfällen. Salopp gesagt, sie konnte nicht jede arisierte Anwaltspraxis oder Metzgerei auflisten und die Vorgänge in Essayform schildern. Schon gar nicht konnte sie die „indirekten“ Arisierungen ansprechen: die Übernahme von Patienten, Kunden, die Erlangung von Positionen im öffentlichen Dienst, wie gerade auch Professorenstellen. Damit sind wesentliche Teile der Entrechtung und Ausplünderungen sowie das Gesamtausmaß der direkten Arisierungen von Frau Fritsche hervorragend erarbeitet und dargestellt worden. Es bleibt aber „leider“ auch noch Raum für weitere Studien. Stellt sich abschließend die Frage, warum so spät, obwohl nun Mannheim eine der ersten Städte war, über die eine so umfassende Dokumentation der Arisierungen vorgelegt worden ist. Es war nun zu spät, die Zeitzeugen noch zu befragen über ihre Motive und Gewissenlage als Profiteure oder ihre Schmerzen und seelischen Wunden, neben den materiellen, als Opfer, sofern sie überlebt haben.
Wahrscheinlich wäre die Nachkriegsgesellschaft psychisch kollabiert, hätte sie sich das Ausmaß der Verbrechen des Dritten Reiches wirklich vor Augen geführt. Es war leichter,
Gesellschaft und Wirtschaft auf den Trümmern der Kriegszerstörungen aufzubauen, als auf den moralisch-ethischen Trümmern einer Gesellschaft, in der nur wenige widerstanden, viele einfach „funktionierten“ und doch auch zu viele aktiv an den Verbrechen beteiligt waren.
So lag es an der Enkelgeneration, wie Frau Dr. Christiane Fritsche“, tiefer zu bohren. Für ihre herausragende wissenschaftliche und publizistische Leistung hat sie mehr als einen Mannheimer Pfennig verdient. Herzlichen Glückwunsch und vielen Dank!
Prof. Dr. Peter Frankenberg
Minister a.D.
Vorstand der Heinrich-Vetter-Stiftung
BILD: Stadtarchiv Mannheim